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Sag lieber nix
Kennst du das? Du freust dich auf einen Vortrag oder auf eine Präsentation, weil du das Thema richtig cool und wichtig findest, doch kaum sind die ersten Worte gehört, hättest du lieber eine Glotze vor dir, weil du da wenigstens weiterzappen könntest. Wirklich – schlechte Reden von Menschen mit professionellem Anspruch machen mich wütend.
Prime Time
Aufmerksamkeit ist ein hohes Gut. Wir leben in einer Zeit, die uns von morgens bis abends mit Eye- und Earcatchern bombardiert. Wir sollen hinschauen, hinhören, zuhören, aufnehmen, wahrnehmen, mitgehen und uns begeistern. Für Produkte, für Stories, für Marken, für Menschen und für alle möglichen Themen. Vor dem Hintergrund dieser überbordenden Fülle, ist ein Bühnenauftritt vor Publikum für mich echt sowas wie in der Prime Time platziert zu sein. Menschen sind gekommen, um zuzuhören. Das ist nicht eine Sekunde lang selbstverständlich. Wie kann man aus so einem Moment nichts machen wollen?
Sprechen können ist eine Frage der Haltung
Es ist nicht sehr lange her, da saß ich im Rahmen einer Veranstaltung selbst bei einem Vortrag im Publikum. Hatte Neugier im Gepäck, freute mich auf die vielleicht andere Sichtweise, neue Blickwinkel, auf Wissen und Erfahrung. Doch schon nach ein paar Minuten wäre ich sicher eingeschlafen, hätte mich nicht gleichzeitig meine Wut darüber gepiesackt. Gleich vorweg: Niemand muss eine rhetorische Rampensau sein, um sein Publikum abzuholen. Es geht weder um einen egozentrischen Auftritt, noch um sprachliche Perfektion.
Aber wer eine Bühne betritt, um Gehör für das eigene Anliegen oder Thema zu finden, sollte
- selbst dafür brennen und
- eine Idee davon haben, was im Publikum nachklingt, wenn die Rede vorbei ist
Ja, bei einer Rede sind die Worte wichtig, keine Frage. Genauso wichtig ist aber die Haltung der Person auf der Bühne, ihre Energie, ihre Präsenz. Aufmerksamkeit ist keine Einbahnstraße. Nur wer sein Publikum aufmerksam wahrnimmt, wird dessen Aufmerksamkeit gewinnen.
Botschafter sein
Inklusion und Diversity z.B. sind Themen, die bei vielen Menschen mit Vorbehalten und Vorurteilen behaftet sind. Die Skepsis und Abwehrhaltung auslösen und zumeist als Themen wahrgenommen werden, die „nur die Randgruppen“ betreffen. Doch anstatt Zuhörer in interessante Einblicke und Einsichten mitzunehmen, die Lust auf eine neue Art des Miteinanders machen, erlebe ich immer wieder problemorientierte Jammervorträge, die nichts als den erlebten Mangel zum Ausdruck bringen. Ich werde kribbelig, wenn auf diese Art Chancen vertan und Entscheider*innen verprellt werden, weil am Ende des Vortrags der Graben zwischen Bühne und Publikum nicht einen Millimeter weniger geworden ist. Wo ist die Aussicht? Der Impuls andere Wege zu gehen? Der Brückenschlag?
Wer eine Bühne betritt, weil er glaubt, dass er dann Aufmerksamkeit hat, sollte es besser gleich lassen. Aufmerksamkeit entsteht, wenn deine Energie weiter als bis zum Bühnenrand reicht. Wenn du deinem Publikum begegnen willst, es berühren willst, es verstehen und sehen willst. Wenn du Bock hast deine Botschaft -nicht deine Befindlichkeiten- funkeln zu lassen.
Wer sind die Menschen, denen wir zuhören? Die uns bewegen? Wer nimmt dich mit? Bei wem hast du Lust deinen Geist und dein Herz zu öffnen? Wer oder was verschließt es? Am Ende des Tages ist egal, ob wir auf einer Bühne stehen oder mit dem Nachbarn im Hausflur. Was wir voneinander mitnehmen, das zählt. Ich kenne keinen besseren Grund, um mich zu fragen, was die Lebens- und Gedankenwelt meines Gegenübers reicher und weiter macht.
Was hat dich bisher an oder bei Vorträgen genervt? Und was hat dich in den bann gezogen?
Foto: Katy Otto