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Rückkehr-Blues – Von Marrakesch ins Nichts
Positiv ausgerichteten, aktiven Menschen wird manchmal unterstellt, ihnen wären schlechte Gefühle fremd. Glückskinder, denen die Sonne aus dem Allerwertesten scheint. Natürlich kennt jeder Mensch neben der Freude die Traurigkeit, neben dem Rausch den Frust, ja mit Sicherheit kennen wir alle Momente der Verzweiflung und der Wut. Die Frage ist, wie wir damit umgehen. Es gibt ein Gefühl, in dem ich beinahe meinen Meister gefunden hätte.
Ein richtig alter, oller Dämon.
Es muss in der fünften oder sechsten Klasse gewesen sein. Wir kamen von einer Klassenfahrt zurück, eine Woche Eifel oder Sauerland oder was weiß ich, in welche sanften Hügel uns der Bus gekarrt hatte. Es war jedenfalls keine spektakuläre Reise, die mich durch wilde Eindrücke einer neuen Flora und Fauna in die erste Rückkehr-Depression meines Lebens treiben sollte. Schon auf der Heimfahrt spürte ich, dass mit jedem Kilometer, den wir uns zurück bewegten, mein inneres „Nein!" wuchs. Es wuchs aus jeder Körperzelle. Ankommen, aussteigen. Das Willkommen daheim legte sich wie ein Bleisargdeckel auf mich.Es war einfach nur schrecklich. Als ich jüngst aus Marrakesch heimkehrte, hat es mich ähnlich kalt erwischt. Obwohl ich den alten Poltergeist kenne, kann er mich in seiner Heftigkeit überraschen.
Ein treues, fieses Gefühl.
Als Kind konnte ich die immense Niedergeschlagenheit, die mich bei meiner Rückkehr nach einer Woche Klassenfahrt heimsuchte, weder einordnen, noch konnte ich mit ihr umgehen. Ich war einfach froh, als sie einige Tage später wieder vorbei war. Dass mich dieses heftige Gefühl fortan jedes Mal nach einer Reise überkommen sollte, konnte ich damals nicht absehen. Doch genauso ist es. Bis heute. Unabhängig von der Länge der Reise. Unabhängig vom Reiseziel. Lange Zeit hatte ich keine Idee, was der Faktor sein könnte, nach dessen Grad sich die Intensität meines Rückkehr-Blues richtet. Es ist ein wirklich tiefes Gefühl von Verlorenheit. Als käme ich vom richtigen Leben zurück ins falsche; was völlig verrückt ist, denn ich mag mein Leben in all seinen Facetten und Extremen, mit allem, wie ich es gewählt und gestaltet habe und weiter gestalte. Es bleibt das Privileg von Gefühlen, nicht rational erklärbar zu sein.
Ein Tanz auf Augenhöhe.
Gerade in jungen Jahren gab es in mir keinerlei Bereitschaft, dieses Gefühl zu ertragen oder ihm irgendeinen Raum zu geben. Ich wollte es nicht fühlen müssen, ihm entkommen, es abschütteln. Mal versuchte ich das über die sofortige Weiterflucht zu Freunden, mal glaubte ich inmitten des bodenlosen Zustands, tatsächlich mein „falsches Leben" ändern und mein Studium schmeißen zu müssen (was ich gottlob nicht getan habe!); oft setzte ich einfach auf das Prinzip Schlaf: Ausblenden, aufwachen und die Welt sieht schon wieder einen Hauch besser aus. Mit dem Älterwerden und je mehr ich mich und das Auftreten meines Reiserückkehr-Blues reflektierte, desto mehr erkannte ich, dass dieses Gefühl immer dann sehr intensiv war, wenn ich mich bei meiner Reise entweder mit den mit mir reisenden Menschen und/oder den Menschen vor Ort verbunden gefühlt hatte. Es geht nie einfach um das Ende einer Reise. Es geht jedes Mal um das (gefühlte) Ende einer innig erlebten, zwischenmenschlichen Beziehungszeit. Das Ende eines tiefen Abtauchens. In Marrakesch war ich wieder einmal völlig mit den Menschen verschmolzen. Mit der Rückkehr werde ich auf mich selbst zurückgeworfen. Nein, die Erkenntnis schmälert den Schmerz nicht. Allerdings tanzen wir seither auf Augenhöhe.
Frieden ist nicht die Abwesenheit von Problemen, sondern die Fähigkeit sanft und geduldig in eine Beziehung zum gesamten Panorama des Lebens zu treten, zu dem auch unsere Gefühle der Wut und des Kummers gehören.
Die innere Ruhe kann mich mal: Meditation radikal anders
Selbstbeobachtung und Selbstwertschätzung.
Ich glaube, es gibt nicht für jedes Gefühl, das wir nicht erleben oder ertragen möchten, eine „Lösung". Ein Gegen- oder Heilmittel. Ich glaube nicht einmal, dass es das geben muss. Mir hat geholfen, mich zu beobachten und zu erkennen, wann das Gefühl auftaucht und was das mit mir macht. Die Beobachtung alleine wäre allerdings nutzlos, folgten ihr nicht Handlungen und Maßnahmen, die meiner Selbstwertschätzung entspringen. Die Beobachtung zeigt mir, was ich brauche, wie ich mir selbst zur Seite stehen kann. Dass ich mich wertschätze, lässt mich mir selbst gegenüber fürsorglich und wohlwollend handeln. Weder verlange ich von mir, diesen Schmerz nicht zu fühlen, weil er „rational unnötig" scheint, noch verlange ich von mir, dass ich ihn einfach rasch wegwischen kann. Ich nehme es an und ein Stück weit hin, dass es ist, wie es ist. Der Rückkehr-Blues bekommt etwas Raum, verweilt und geht. Derweil packe ich meine Koffer aus und hole mir ein frisches T-Shirt aus dem Schrank meines besten Lebens.