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Jeder fragt nach Sex

Unser aller Köpfe sind voll von Fragen über Sex und Sexualität. Obwohl das Internet anscheinend nichts unbeantwortet dazu lässt, gibt es noch immer viele blinde Flecken und Tabus. Die Themen Dating, Körpergefühl, Sex sind manchmal solche Tabus. Kürzlich erreichte mich von bento eine Interview-Anfrage. Dating und Sex mit Handicap, darum sollte es gehen. Ahnt ihr, was mein erster Gedanke war?
Ich hab' gesagt, ich rede
Sicher erinnert ihr euch noch an meinen Blog zum Thema intime Frage und persönliche Offenheit [Let's talk about ... sex?]. Ausnahmsweise zitiere ich mich mal selbst: „Ich bin offen. Offen für jede Frage. Und offen für jede Antwort." Genau das schoss mir freilich durch den Kopf, als ich die Interview-Offerte erhielt und daran gekoppelt ein dezent erhöhter Puls mit dem Nachhaken bei mir selbst: „Janis, bist du wirklich so offen?" Welche Fragen könnten mich erwarten und wie weit würde meine Offenheit dann mitgehen können? Es war spannend zu spüren, dass mich das Thema doch ein wenig triggerte. Wie noch ein weiteres.
Mein bestes Leben ist bunt
Mein Outing ist schon eine ganze Weile her; auch in meinem Buch habe ich euch erzählt, wie es mir erging, als mir klar wurde, dass ich schwul bin. Legendär: Mutterns Fahrservice zur Jugendgruppe. Für mich war damals das tollste, dass sich das Outing trotz aller Unsicherheiten sofort richtig anfühlte. Kaum etwas ist befreiender als die eigene Wahrheit ins Licht treten zu lassen. Umso krasser empfand ich den Hinweis, den mir ein beruflicher Wegbegleiter einige Jahre später gab, als sich mein Erfolg als Speaker immer stärker abzeichnete: „Sei vorsichtig mit dem Thema Homosexualität. Das kommt nicht bei jedem Unternehmen gut an. Damit kannst du dir ganz flott den großen Erfolg verbauen."
I am what I am
Zugegeben, dieser Satz aus dem Munde eines erfahrenen Geschäftsmannes, der „das Business" kennt, ließ mich, den Speaker-Frischling nicht unberührt. Selbstverständlich meldete sich kurz in mir eine Stimme, die mich verunsicherte und mich überlegen ließ, ob ich mein Schwulsein dezenter in meine Vita fügen könne. Dann allerdings gewannen Instinkt und Selbstwertschätzung wieder Oberwasser und das Ergebnis war eindeutig: Ich bin der ich bin. Es gibt mich authentisch oder eben gar nicht. Wie könnte mein Leben ein bestes Leben sein, wenn ich zwinge etwas unter den Teppich zu kehren, was zu mir gehört?
Verräter? Nein danke
Zudem klangen die Worte für mich spannend, weil ich meine ersten Bühnen als Speaker unter anderem dem Thema Diversity verdanke. Renommierte Organisationen, wie z.B. der Völklinger Kreis, PROUT AT WORK und die Charta der Vielfalt e.V., gehörten zu jenen, die mich als Redner am Anfang unterstützten, was mir ermöglichte mich weiter zu entwickeln. Dass sich meine Themen inzwischen nicht mehr auf Diversity und Inklusion beschränken, liegt in der Natur der Dinge. Von meinem Leben zu trennen sind sie nicht. Never forget where you're coming from. Sich selbst treu zu sein, ist ein Wesenspunkt echter Selbstwertschätzung. Bestimmt kann auch auf einem Weg der Selbstverleugnung Erfolg wachsen – man selbst jedoch wächst nicht.
Zurück zum Sex
Zum bento-Interview gab es natürlich ein Vorgespräch. Da wurde schnell klar, dass ich es erstens mit empathischen, wertschätzenden und seriösen Fragen jenseits irgendeines platten Voyeurismus zu tun haben würde, und zweitens, dass es um mehr geht als einfach nur Sex. Wie im echten Leben also. Es geht um mehr als unsere Etiketten. Es geht nur um unsere tiefste, innere Wahrheit. Wieviel wir davon preisgeben oder zeigen, das dürfen wir jederzeit frei entscheiden. Das einzige, was wir 100% sichtbar machen sollten, ist unsere Authentizität.
Auf mir kleben Etiketten wie schwul, Vegetarier, Rollifahrer, Waldorfschüler etc. Je nach Perspektive bin ich die Inkarnation der Randgruppe. Wie ist das bei dir? Welche Etiketten kleben an dir, die gern und ohne Scheu der Welt zeigst?
Coverfoto: Katy Otto